Naltrexon – Beurteilung & Erfahrungen + Fazit
Naltrexon ist ein Opioidantagonist. Dieser Antagonist wirkt kompetitiv an Opioidrezeptoren, indem er die dort
andockenden Opioide aus der Rezeptorbindung verdrängt und sich selbst am Rezeptor festsetzt. Damit wird die Wirkung
von Opioiden unterbunden.
Hauptanwendungsgebiet ist die Behandlung von Opioidabhängigkeit und Alkoholsucht. Daneben gibt es noch eine
sogenannte Off-Label-Anwendung. Dies sind Einsatzgebiete, wo eine Substanz wirksam ist oder man glaubt, das sie es
ist, wofür es aber keine offizielle Zulassung gibt. Solche Off-Label-Indikationen sind in der Pharmaindustrie
beliebte Tricks, um für die eigenen Substanzen neue Absatzsegmente zu kreieren. Diese Off-Label-Anwendung nennt
sich „LDN“ oder „low dose Naltrexone“. Sie soll angeblich wahre Wunder wirken, und dass nicht nur bei einer
Indikation.
Auf der Webseite eines homöopathisch ausgerichteten Allgemeinmediziners wird ein umfassendes Profil
von der Substanz und ihren Einsatzmöglichkeiten gegeben. Besonders interessant ist die Erklärung, warum LDN eine
gute Wirkung bei Krebserkrankungen haben soll. Hierbei spielt die Beobachtung eines Wissenschaftlers, Dr. Zagon, eine Rolle. Dieser hatte nämlich beobachtet, dass seine heroinsüchtigen Mäuse und
Ratten auffällig wenig Tumore entwickelten im Vergleich zu normalen Mäusen. Es scheint diese Tendenz auch beim
Menschen zu geben.
Darauf hin untersuchte er den Rezeptorenblocker Naltrexon in verschiedenen Dosierungen. Es zeigte sich, dass die
hoch dosierten Gaben zu einer Anzahl an Hirntumoren führte, die der von nicht behandelten Mäusen entsprach. Die
Mäuse, die eine niedrige Dosis bekommen hatten, zeigten keine oder erst sehr viel später eine Tumorentwicklung.
Grund für diese paradoxe Wirkung ist ein Mechanismus, den man bei vielen Rezeptorenblockern gesehen hat. Werden
Rezeptoren durch weniger physiologische Substanzen blockiert, dann reagiert der Organismus mit einer Gegenreaktion.
Diese besteht darin, einfach noch mehr Rezeptoren zu generieren, die dann die Wirkung der Antagonisten selbst
antagonisiert. Eine zweite Gegenmaßnahme des Organismus ist, besonders wenn es sich um kompetitive Systeme handelt,
einfach noch mehr von der Substanz zu bilden, die von dem Rezeptor ferngehalten wird. In diesem Fall sind das
körpereigene Endorphine, die unter einer LDN um den Faktor 3 anstiegen.
Dr. Zagon zeigte dann, dass körpereigene Endorphine in gesteigerten Dosen die Tumorentwicklung um rund 40
Prozent reduzierte. In einer Arbeit aus dem Jahr 2013 zeigte er und sein Team, dass der Opioide Wachstumsfaktor
(OWF) in höheren Dosierungen zu einer Hemmung der DNA-Synthese in Tumorzellen führt (in diesem Fall in
Brustkrebszellen) - Opioid growth factor - opioid growth factor receptor axis inhibits proliferation of triple
negative breast cancer.
OWF ist ein natürlich vorkommendes opioides Peptid mit einer kurzen opioiden Wirkung. Die Substanz ist als
Medikament praktisch nicht einsetzbar, da sie sehr schnell metabolisiert wird und daher eine besonders schlechte
Bioverfügbarkeit besitzt. Es müssten extrem hohe Dosen verabreicht werden, um einen therapeutischen Effekt zu
erhalten. Die Lösung heißt hier, den Organismus zu veranlassen, die körpereigene Substanz selbst in höheren
Dosierungen herzustellen. Und dazu scheint LDN der geeignete Weg zu sein.
Eine ähnliche Arbeit mit menschlichen Eierstockkrebszellen zeigte die gleichen Ergebnisse: Targeting the opioid growth factor: opioid growth factor receptor axis for treatment of human
ovarian cancer.
Aus Kanada kommt 2014 ein Fallbericht (Long-term remission of adenoid cystic tongue carcinoma with low dose
naltrexone and vitamin D3--a case report. Der Autor beschreibt im Abstract diesen Fall als ein weiteres Beispiel,
wie eine nicht toxische Krebstherapie aussehen kann.
Eine Arbeit aus dem Jahr 2013 zeigte, dass LDN auch das Immunsystem zu beeinflussen scheint: Low dose naltrexone (LDN) enhances maturation of bone marrow dendritic cells (BMDCs). LDN
fördert demnach die Reifung von dendritischen Knochenmarkzellen und erhöht die Produktion einer Reihe von
Zytokinen. Die Autoren sehen hier ebenfalls einen Wirkmechanismus, der sich gegen die Entwicklung von
Krebserkrankungen richtet.
Andere Erkrankungen scheinen ebenfalls auf LDN anzusprechen: The use of low-dose naltrexone (LDN) as a novel anti-inflammatory treatment for chronic
pain. Die Autoren berichten hier, dass Fibromyalgien, Morbus Crohn, Multiple Sklerose und komplexe örtlich
begrenzte Schmerzzustände auf LDN ansprechen. Die Autoren versuchten in ihrer Arbeit herauszufinden, ob LDN auch
einen entzündungshemmenden Effekt ausübt. Die Metaanalyse, die sie durchführten, führte zu dem Ergebnis, dass
hier die Zahl und Güte der betreffenden Studien noch zu gering ausfällt. Allerdings scheint es Tendenzen zu
geben, die nahelegen, gerade in dieser Richtung intensiver zu forschen.
Eine Metaanalyse zur Frage der Wirkung von LDN bei Morbus Crohn ergab ebenfalls ein undifferenziertes Bild. Die
Autoren sahen jedoch keine vermehrten Nebenwirkungen im Vergleich zu Placebo. Es zeigten sich auch klinisch
relevante Wirkungen der Substanz, die aufgrund der kleinen Fallzahlen keinen statistisch signifikanten Aussagewert
hatten. Auch sehen die Autoren die Notwendigkeit, gut durchgeführte klinische Studien einzuleiten.
Hoffnungsfrohe Ergebnisse, die einen Durchbruch bringen könnten
Die oben erwähnte Webseite des homöopathischen Allgemeinmediziners sieht zu schön aus, um wahr zu sein, so
könnte man auf den ersten Blick vermuten. Allerdings gibt es eine Reihe von ernstzunehmenden wissenschaftlichen
Arbeiten, die die „homöopathische Euphorie“ zu stützen scheinen. Das, was man der LDN-Front zu diesem Zeitpunkt
vorwerfen könnte, wäre, dass die Zahl der Studien und die Zahl der Teilnehmer der wenigen Studien, die es bislang
gibt, einfach zu klein sind, um hier endgültige Aussagen über die Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit von
LDN machen zu können. Denn wäre das alles so, wie Dr. Zagon es beschreibt, dann stände man mit einer Substanz vor
dem „Durchbruch“, auf die es leider keinen Patentanspruch gibt. Oder mit anderen Worten: Schulmedizin und
Pharmaindustrie nehmen das Wort „Durchbruch“ nur dann in den Mund, wenn der „Durchbruch“ ein Kassenfüller wird.
Sollte es eine Substanz geben, die zwar den Durchbruch bringt, aber keine Tantiemen durch ein Patent, dann beeilt
man sich, die Forschung in dieser Richtung zu bremsen, wo nur möglich, und bestehende Forschungsergebnisse
totzuschweigen oder unter den Tisch zu diskutieren.
Unter Low Dose Naltrexone for Multiple Sclerosis, What Happened wird Dr. David Gluck von http://www.lowdosenaltrexone.org/ zitiert. Für ihn gibt es keine
ernstzunehmende Frage mehr nach der Effektivität und Sicherheit von LDN. Über Big Pharma weiß er zu berichten,
dass sie den potentiellen Profit einer Substanz als Maßstab für die Entscheidung heranzieht, ob so eine Substanz
getestet wird oder nicht. Und daher ist für ihn klar, dass eine Substanz wie Naltrexon, trotz ihrer Wirksamkeit
bei einer Reihe von Erkrankungen, für den öffentlichen, allgemeinen Einsatz in der Therapie mit allen Mitteln
unter Verschluss gehalten wird, weil sie eben keinen großen Profit verspricht.
Fazit
Es scheint hier eine Substanz zu geben, die über einen paradoxen Wirkmechanismus eine Reihe von physiologischen
Funktionen indirekt beeinflussen kann, die wiederum therapeutisch von Interesse sind. Paradox auch deshalb, weil
hier nur eine niedrig dosierte Anwendung die erwünschte Wirkung bewirken kann.
Und niedrige Dosis ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verbunden mit einem sehr geringen
Nebenwirkungsprofil. Weiter muss es der Schulmedizin ein Dorn im Auge sein, dass hier das alte pharmakologische
Dogma „hohe Dosen = hohe Wirkung; geringe Dosen = mangelhafte oder gleich keine Wirkung“ völlig auf den Kopf
gestellt wird. Denn unter hoch dosiertem Naltrexon sahen die Forscher Effekte, die mit Placebo zu vergleichen
waren. Nur die gering dosierte Anwendung brachte die therapeutischen Effekte. Hmm…. Das ist fast wie Homöopathie,
oder?
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